Aktivrente – Aufbruch oder Ablenkung? Warum sich Deutschland seine Silver Worker schönrechnet
Wenn die Politik die „Lust auf Arbeit im Alter“ wecken will, fragt man sich unweigerlich: Ist das ein Rentenmodell mit Zukunft – oder nur ein Geschenk für die fitten Privilegierten?
2.000 Euro steuerfrei im Monat. Kein Renten- oder Arbeitslosenversicherungsbeitrag. Und ein warmes Wort obendrauf: „Silver Worker“ – klingt nach Glanz und Leistung, nach „wir brauchen dich noch“. Die neue Aktivrente, mit der die schwarz-rote Koalition den Renteneintritt verschönern will, ist in der Theorie ein leuchtender Hoffnungsträger. Für die Praxis gilt eher: Wer’s glaubt, wird selig. Oder schuftet weiter. Oder beides.
Denn die vermeintlich sozialpolitische Innovation entpuppt sich bei näherem Hinsehen als das, was viele Maßnahmen dieser Regierung gerade sind: Ein steuerlicher Leckerbissen für die oberen Etagen – und ein stiller Tritt für jene, die sowieso schon auf dem Zahnfleisch gehen.
Steuerfreier Zuverdienst – für wen?
2.000 Euro steuerfrei: Das klingt erst mal fair. Doch es geht eben nicht um Gerechtigkeit, sondern um fiskalisch verwertbare Lebensläufe. Wer körperlich fit ist, in einem Bürojob gearbeitet hat, vielleicht sogar als Selbstständiger oder Akademiker: Der oder die freut sich über den steuerlichen Bonus. Warum auch nicht? Die Steuerfreiheit kommt on top, denn viele dieser „Silver Worker“ haben ohnehin Rentenansprüche, die ein Leben ohne Arbeit möglich machen würden – aber eben nicht müssen.
Was aber ist mit der anderen Realität? Mit Gebäudereinigern, Paketbotinnen, Altenpflegern, Menschen auf dem Bau? Die nach 45 Jahren buckeln bestenfalls mit Minderung in Rente gehen dürfen – sofern sie vorher nicht von Bandscheibenvorfällen, Arthrose oder Depressionen aus dem Job katapultiert wurden? Sollen die auch noch weiter Flure wischen und Dächer decken, um sich ein menschenwürdiges Leben zu sichern?
Das Märchen von der Wahlfreiheit
Offiziell spricht die Politik von Freiwilligkeit. „Wer weiterarbeiten möchte, soll steuerlich belohnt werden.“ Das klingt schön, funktioniert aber nur unter der Annahme, dass alle Menschen im Alter überhaupt noch die Wahl haben. Genau hier liegt die große Ironie: In einem Land, in dem immer mehr Rentner Pfandflaschen sammeln oder bei der Tafel stehen, mutet das Konzept „Aktivrente“ wie ein Hohn an.
Wer sich die Arbeit im Alter nicht leisten kann, wird von der neuen Regelung nicht profitieren. Wer nicht mehr kann, wird sie nicht nutzen. Wer aber könnte – und vielleicht sogar noch Lust hätte –, hat sie in der Regel nicht nötig. Denn der Bauingenieur mit doppeltem Abschluss, der als Senior Consultant weiterberät, ist nicht vergleichbar mit dem 66-jährigen Gerüstbauer, der morgens kaum noch aus dem Bett kommt.
Rentenrealität trifft Upper Class Bonus
Wem nutzt also die Aktivrente? Der Steuerberaterverband bringt es unfreiwillig auf den Punkt: Die Maßnahme helfe, „schwer ersetzbare Fachkräfte über den Renteneintritt hinaus zu halten.“ Übersetzt heißt das: Wir sprechen hier von einer aktivierten Oberschicht – nicht von einem sozialen Instrument.
Für Menschen, die nach einem Leben voller Arbeit kaum auf den Mindestbedarf kommen, ist die Aktivrente ein Angebot ohne Substanz. Wer nichts mehr leisten kann, soll trotzdem weiter „Leistung bringen“ – oder eben leer ausgehen.
Die neue Erzählung: Leistung lohnt sich (aber nur für manche).
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann spricht vom „Aufbruch für Deutschland“, davon, dass „Leistung sich wieder lohnen“ müsse. Dass wir es einfach „mal ausprobieren“ sollten. Der steuerfreie Zuverdienst wird als Innovationsschub verkauft, als Inspiration für die jungen Arbeitskräfte und als Brücke zwischen Generationen.
Doch was hier als neues Sozialmodell verkauft wird, ist nichts anderes als ein Versuch, die Lücken im Fachkräftesystem durch steuerlich optimierte Selbstverwertung zu stopfen. Rentner als Notnagel für die demografische Malaise – aber bitte nur die, die schön weiterlaufen und kein Geld kosten.
Eine Aktivrente für Aktive – und der Rest?
Die Aktivrente in ihrer geplanten Form ist kein großer sozialer Wurf. Sie ist ein Elitenmodell. Sie ist der steuerfreie Apfel für jene, die den Apfel gar nicht brauchen – aber zugreifen, weil er halt da liegt. Und währenddessen verhungern andere sinnbildlich am Baum, weil sie sich nicht mal die Leiter leisten können.
Was wir wirklich brauchen, ist keine kosmetisch aufgehübschte Weiterarbeit bis zum Umfallen, sondern ein Rentensystem, das seinen Namen verdient: Sicher. Auskömmlich. Und unabhängig davon, ob man mit der Aktentasche oder dem Putzwagen durchs Leben gegangen ist.
Die Aktivrente mag als Idee tragfähig klingen – in der Realität zeigt sie vor allem, wie sehr unser Sozialsystem zwischen den Klassen driftet. Wer das nicht sieht, sollte mal einen Tag mit einer 70-jährigen Altenpflegerin verbringen, oder mit einem Gebäudereiniger. Und dann nochmal über „Silver Worker“ reden. kw
Bild: Kampus Production, pexels.com
Redaktion
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